Masha Gessen: "Autokratie überwinden"

2020 war nicht nur das Corona-Jahr, sondern auch - mal wieder  - ein Wahljahr in den USA. Anfang November fand eine Wahl statt, deren Ausgang bekanntlich vom Verlierer angezweifelt wurde und noch immer wird.

 

Gleich zu Beginn des Jahres 2021 folgte dann der Sturm aufs Capitol. Angefeuert und gelobt von eben jenem Verlierer: dem noch-Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump.

 

Dem Mann, der zwar über die  Gewalt über das Atomwaffenarsenal der USA verfügte, aber gleichzeitig zu gefährlich war, um ein Twitter- oder Facebookkonto zu besitzen.

 

Diese Entwicklungen der jüngsten Geschichte konnte Masha Gessen nicht ahnen, als sie im April 2020 ihr Buch "Autokratie überwinden" abschloss. Und doch passt es gut in die Reihe von Merkwürdigkeiten, anhand derer sie autokratische Regime zu beschreiben und analysieren versucht. Als besonderes Beispiel dienen dabei immer wieder die Vereinigten Staaten und Donald Trump.

 

Als Teenager kam Masha Gessen in die USA, als Kind einer russisch-jüdischen Familie. Später arbeitete sie als Journalistin in Moskau. So erstaunt es wenig, dass sie Trump immer wieder mit dem russischen Staatsoberhaupt Putin vergleicht. Diese Vergleiche finden jedoch ausschließlich auf einer Sachebene statt, nie vermischt sie persönliche Erfahrungen mit sachlichen Argumenten - und das, obwohl ziemlich offensichtlich ist, auf welcher "Seite" sie persönlich steht. Doch jede ihrer Behauptungen und Beobachtungen ist belegt. Allein der Anhang besteht aus einem umfangreichen Quellenverzeichnis.

 

Gessen macht in ihrem Buch deutlich, dass Trump nur ein Symptom der Spaltung in den USA ist, nicht die Ursache. Sein Aufstieg zum Präsidenten war nur aufgrund bereits vorher stattfindener Entwicklungen möglich.

 

Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die Sprache Trumps. Nur ein Teil davon sind seine Lügen, die als "Alternative Fakten" ihren Platz in der Öffentlichkeit und Wahrnehmung fanden, obwohl sie teils sehr leicht und eindeutig als Lügen zu identifizieren waren. Dass er bei seiner Ansprache zum 4. Juli 2019 etwa über die Flughafenbesetzungen im Unabhängigkeitskrieg in den 1770er Jahren sprach (nachzulesen z.B. hier), ist da nur eines der vielen merkwürdigen Beispiele.

 

Und doch tat diese Art der Kommunikation, oder teilweise Nicht-Kommunikation, seinem politischen Erfolg bei einer nicht unerheblichen Anzahl an Amerikanern keinen Abbruch.

 

Obwohl viele der genannten Fakten den meisten Leser*innen nicht unbekannt sein mögen, erstaunt doch die schiere Anzahl an eigentlich "unerhörten" Äußerungen und Verhaltensweisen, von denen jede einzelne bereits zum Rücktritt des Präsidenten hätte führen müssen.

 

Alles in allem überzeugt Gessen in "Autokratie überwinden" mit ihrer klaren, lesbaren Analyse und einem Buch, das auch weit nach der Abwahl Trumps und der Machtübergabe in den Vereinigten Staaten wichtig und empfehlenswert bleibt. Denn es gibt weiterhin viel zu tun: nicht nur in Russland und den USA.

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