Das Leid des Versandhandels

„Nutzen Sie die Krise, machen Sie Werbung für Ihren Versandhandel! Die Konkurrenz schläft nicht.“ - wohlgemeinter, jedoch sinnfreier Ratschlag eines Kunden

Das Corona-Jahr 2020 hat zahlreiche Entwicklungen beschleunigt, das betrifft auch uns als Buchhändler. Die Zahl der von uns versendeten Bücher ist im Frühjahr 2020 sprunghaft angestiegen. Dieses Phänomen lässt sich in praktisch allen Bereichen des Handels finden. Gerade der stationäre Einzelhandel kämpfte ums Überleben und wich notgedrungen auf den Versandhandel aus. Gleichzeitig klagten Paketzusteller über die Flut von Sendungen, so dass Pakete teilweise deutlich länger unterwegs waren als üblich.

 

 

Nun hat sich für uns als Buchhandlung die Situation wieder einigermaßen entspannt. Die meisten Bücher werden bei uns vor Ort gekauft oder abgeholt. Trotzdem versenden wir noch immer Bücher, bundesweit - in einer durchschnittlichen Zahl, die deutlich über der von vor 2020 liegt. Es hat also ein rapider Wandel im Bereich der Warenabgabe stattgefunden, der sich so auch nicht mehr rückgängig machen lässt. Das merken wir auch bei den Paketzustellern: Immer häufiger kommen Bücher nicht an, ganze Pakete sind verschwunden. Das betrifft gelegentlich Sendungen von Verlagen an uns, meist aber Sendungen von uns an unsere Kund:innen.

 

Disclaimer: folgender Absatz enthält Rechenbeispiele! Leser:innen mit einer Aversion gegenüber Zahlen sollten also den nächsten Abschnitt überspringen.

 

 

Ein Rechenbeispiel:

 

Bislang haben wir Bücher ab einem Wert von 10€ versandkostenfrei verschickt (alles darunter mit einer Pauschale von 2,70€ für den Versand).

 

Nehmen wir daher ein Taschenbuch von 10€ als Beispiel und rechnen zunächst die Mehrwertsteuer heraus: 9,35€

 

Nun ermitteln wir den Rohgewinn an einem solchen Buch. Dafür legen wir einen durchschnittlichen Einkaufsrabatt von 35% zugrunde: 3,27€. Andersherum verursacht ein solches Buch Kosten in Höhe von 6,08€.

 

Die Versandkosten für ein solches Taschenbuch betragen in der Regel zwischen 1,55 und 2,70€, je nach Gewicht und Größe des Buches. Dies sind die Kosten für Briefe bzw. Päckchen – beides ohne Trackingnummer, doch dazu später mehr.

 

Der Ertrag reduziert sich also auf 1,72€ bzw. 0,57€, wovon dann nur noch Kosten für Verpackungsmaterial, Arbeitszeit, Miete, Heizung, Steuern und Beiträge abgezogen werden müssen.

 

Bei Schulbüchern (z.B. Workbooks) ist übrigens ein Einkaufsrabatt von 35% utopisch. Realistisch liegt dieser eher zwischen 10 und 25% je nach Bezugsweg.

 

Ein kostenfreier Versand von niedrigpreisigen Büchern ist daher reiner Service an unsere Kund:innen und kein wirtschaftlich sinnvolles Handeln. Geht nun eine Sendung auf dem Weg verloren, beträgt der Verlust für die Buchhandlung 6,08€ plus Porto 1,55€ bzw. 2,70€. Die Sendung ist dabei unwiederbringlich verschwunden, da aus Kostengründen auf den Versand mit Trackingnummer verzichtet wurde.

 

 

Dies ist hauptsächlich ein Problem der „kleinen“ lokalen (Buch-)Händler. Einen großen Internet-Konzern betreffen solche Zahlenspiele kaum, da er aufgrund seines großzügigen Rahmentarifs mit Paketdienstleistern, oder sogar seiner eigenen Logistik-Sparte die meisten Pakete mit Trackingnummer versendet bei im Vergleich niedrigeren Kosten pro Sendung.1 Ein großer Teil der Versandkosten bleibt so im Konzern - ein Luxus, den kleine Händler nicht haben.

 

„Berechnen Sie ruhig das Porto weiter“ - wohlgemeinter und auch hilfreicher Wunsch einer Kundin

Den meisten unserer Kund:innen ist diese Problematik durchaus bewusst. Wenn mehrere Bücher geschickt werden sollen, melden sich viele, dass es nicht auf einen Tag ankommt, so dass z.B. mehrere Sendungen zu einem großen Paket gebündelt werden können. Oder sie kommen doch zufällig vorbei und können die Bücher noch schnell selbst abholen. Es ist toll, wie viele da mitdenken und uns die Arbeit erleichtern!

 

 

 

Vielen Neukund:innen ist diese Problematik dagegen nicht bekannt. Es wird bestellt wie bei der großen Online-Konkurrenz. Das ist bequem und spart Zeit (also nicht für uns Buchhändler:innen). Auch gerne mehrere kleine Arbeitshefte im Abstand von jeweils 1-2 Tagen bestellen, wie man es gerade braucht und weil der Schuljahresbeginn sowieso immer unerwartet kommt. Uns macht dieses Bestellverhalten dagegen das Leben schwer. Wir sind einerseits froh über jede:n neue:n Kund:in und ärgern uns gleichzeitig über solch gedankenloses Bestellverhalten. Solche Bestellungen dennoch zu bedienen betrachten wir als Service. Kundenbindung nennt man das. Es schwingt immer die Hoffnung mit, dass man einen neuen Stammkunden gewinnen kann, der mit ein wenig Glück auch mal häufiger in der Buchhandlung vorbeischauen wird. Denn dafür leisten wir uns die Räumlichkeiten in der Innenstadt. Wir kommen also irgendwie damit klar, dass die Leute gelegentlich verwirrt sind, wenn sie online auf den „bestellen“ Button klicken.

Wir bekommen jedoch ein wirtschaftliches Problem, wenn Paketzusteller in unschöner Regelmäßigkeit unsere Ware verlieren und wir auf den Kosten sitzenbleiben. Wir suchen daher nach Lösungen, die einen sinnvollen Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit und Kundenservice darstellen und wir so im Verlustfall nicht auf den Kosten sitzenbleiben. Dies bedeutet leider Mehrkosten, die wir an unsere Kund:innen weitergeben müssen (siehe Rechenbeispiel oben). Für Bestellungen, die nicht aus der Stadt oder dem Osnabrücker Land kommen (also unserem Einzugsgebiet), werden wir daher eine grundsätzliche Versandpauschale einführen. Wenn Sie dies lesen, während Sie zu Hause in Koblenz oder Dresden sitzen: die Buchhandlung bei Ihnen in der Nähe freut sich mindestens genauso sehr über Ihre Bestellung wie wir! Wenn wir dadurch potenzielle Kund:innen an den großen Online-Händler verlieren, dann ist das so. Mehr als an die Vernunft der Leser:innen zu appellieren können wir nicht. Einen fairen Wettbewerb zu schaffen, ist Sache der Politik, die Buchpreisbindung schützt uns glücklicherweise zumindest ein Stück weit vor Preiskämpfen. In anderen Bereichen wie Warenabgabe (Versand), Einkaufsrabatte (Marge), oder auch Besteuerung2 ist die Konkurrenz jedoch übermächtig, so dass wir uns dort nicht auf einen Wettbewerb einlassen können. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte nach im Bundesfinanzministerium oder beim Lobbyisten Ihres Vertrauens.

 

 

Es gibt jedoch Ansätze, Ressourcen lokal zu Bündeln und viele Unternehmen so „unter einen Hut“ zu bekommen. Die Stadt Osnabrück und die Marketing Osnabrück GmbH haben derzeit mehrere Projekte angeschoben, die den lokalen Handel stärken sollen. Unter anderem soll eine „Citylogistik“3 geschaffen werden. Richtig umgesetzt, kann das viele Probleme des lokalen Handels lösen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob das nicht nur eine teure Marketing-Aktion mit reinem Selbstzweck bleiben wird, oder ob es tatsächlich Bedingungen schaffen kann, die die große Online-Konkurrenz neidisch werden lässt. Nennen wir es doch „Osnabrück Prime“ mit Same-Day Delivery per Fahrradkurier. Das leisten wir für einzelne Stadtteile bereits selbst, allerdings nur für Bücher und auch nur solche, die wir schon in der Buchhandlung haben (bei den meisten anderen Büchern dauert es auch nur 1-2 Tage länger).

 

 

Damit wir uns nicht falsch verstehen, dies ist kein Angriff auf den einen großen Online-Versandhändler, der auch mal als Buchhändler angefangen hat4, sondern eine Kritik am Konsumverhalten (zu) vieler Menschen und eine Kritik an einer Politik, die ein solches Konsumverhalten noch befeuert, indem sie verhindert, dass Konzerne angemessen besteuert werden, die Arbeitsrecht mit Füßen treten5 und sich so einer echten Konkurrenz gar nicht erst stellen müssen.

 

 

Wir betreiben gerne unsere Buchhandlung, tauschen uns mit Leser:innen über Literatur aus. Das ist unser Kerngeschäft, das können wir besser ein gewisser Online-Händler. Mit unseren Veranstaltungen leisten wir zudem einen kleinen Beitrag zum vielfältigen kulturellen Angebot der Stadt, das zeichnet uns inhaltlich aus, darauf haben wir Lust, da müssen wir uns vor keiner Konkurrenz fürchten. Der Versandhandel passiert für uns glücklicherweise eher nebenbei, trotzdem ist es ein Bereich auf den wir nicht verzichten können und den wir als Service an unseren Kund:innen betrachten auf einen Wettkampf mit einem reinen Online-Händler können und wollen wir uns dagegen nicht einlassen.

 

 

 

 

 

 

1https://www.ipg-journal.de/rubriken/arbeit-und-digitalisierung/artikel/amazon-usa-5128/

 

2https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-mindeststeuer-janet-yellen-101.html

 

3https://www.marketingosnabrueck.de/news/artikel/osnabrueck-erhaelt-18-millionen-euro-aus-dem-foerderprogramm-perspektive-innenstadt/

 

4https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/amazon-das-alleskaufhaus-alles-fing-mit-einem-buch-fuer-27-95-dollar-an/24526870.html

 

5https://www.ipg-journal.de/rubriken/arbeit-und-digitalisierung/artikel/amazon-usa-5128/

 

 

 

 

 

 

Verfasst von: BL

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