10-Punkte-Plan für Osnabrück WTF


Jüngst hat die Stadt Osnabrück als brillanten taktischen Schachzug einen 10-Punkte-Plan für mehr Sicherheit in der (Innen-) Stadt vorgelegt. Wir hoffen, Sie erkennen bereits jetzt den stellenweise enthaltenen Sarkasmus in unserer Bewertung der geplanten Maßnahmen. Dazu möchten wir uns nun an dieser Stelle äußern. Nicht, dass wir dahingehend von der Stadt gefragt wurden, oder wir den Eindruck hätten, dass unsere Haltung als Bürger:innen oder gar Gewerbetreibende großartig ins Gewicht fiele, aber schauen wir uns die Punkte doch einmal gemeinsam an. Ganz am Ende dieses Textes finden Sie unsere kleine Zusammenfassung der Maßnahmen und unsere Bewertung (unser tl;dr). Und da dies hier ja eigentlich ein Literatur-Blog sein soll, geben wir zu einigen Maßnahmen passende Lese-Empfehlungen.

 

Die folgende Auflistung der Maßnahmen wurde originalgetreu übernommen von der Veröffentlichung der Stadt Osnabrück (Stand 28.02.2024) und ist auch unter folgendem Link abrufbar: https://demokratisch.osnabrueck.de/de/aktuelles/zehn-punkte-programm-zur-staerkung-der-sicherheit-in-der-osnabruecker-innenstadt/

 

Immer auf der linken Seite abgebildt die originalgetreue Formulierung der jeweiligen Maßnahme, und jeweils rechts davon unsere Kommentierung.

 

 


 

  • Maßnahme 1: Für den Bereich Neumarkt/Johannisstraße wird zur Prävention von Straftaten eine dauerhafte Videoüberwachung des öffentlichen Raumes angestrebt. Infrage kommen sowohl eine mobile als auch eine stationäre Überwachung. Der Rahmen des rechtlich Zulässigen soll dafür voll ausgeschöpft werden.

 

Zu dieser Maßnahme wurde in der Vergangenheit bereits viel gesagt, es gibt inzwischen auch mehrere Untersuchungen dazu. Eine der Studien wurde durchgeführt in London, der wohl am besten via Kameras überwachten Stadt der Welt, eine andere wurde in Berlin (BVG) durchgeführt. Es ist nicht belegbar, dass Kameras die Kriminalitätsquote senken oder gar als präventive Maßnahmen geeignet sind. In den nachfolgend aufgeführten Quellen dazu finden Sie auch Verweise auf weitere Quellen. Die persönliche Freiheit wird durch Kameraüberwachung eingeschränkt, ohne dass eine Überwachung belegbar die angestrebte Wirkung bringen würde. Und für die, die jetzt schon „ich habe ja nichts zu verbergen“ geknurrt haben: die Aktion bringt nichts und kostet nur Geld (vielleicht ist dieses Argument ja besser verständlich als das der persönlichen Freiheit).

 

Quellen:

 

  1. https://digitalcourage.de/videoueberwachung/materialsammlung
  2. https://www.fr.de/politik/bringt-videoueberwachung-wirklich-11069956.html
  3. https://www.deutschlandfunk.de/staatliche-ueberwachung-befallen-vom-ueberwachungsvirus-100.html
  4. https://www.deutschlandfunkkultur.de/grenzen-und-chancen-der-ueberwachungstechnik-digitale-augen-100.html
  5. https://www.csmonitor.com/World/Europe/2012/0222/Report-London-no-safer-for-all-its-CCTV-cameras

 

 


Buchtipp zum Thema:

 

Thomas Herrmann - Überwachungsbilder

Wagenbach Verlag

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  • Maßnahme 2: Teile der Innenstadt sollen zur Waffenverbotszone erklärt werden. Auch das Mitführen von grundsätzlich legalen Waffen, zum Beispiel Messern, ist in solchen Bereichen generell verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft.

 

Ich hoffe, wir sind uns da einig: Waffen sind Mist. Es sollte niemand eine Waffe mitführen, oder mitführen müssen. Die Statistik des BKA aus dem Jahr 2023 gibt einen Anstieg der Gewaltkriminalität an, aber auch, dass derartige Straftaten immer dort auftreten, wo die wirtschaftliche Lage für viele Menschen schwierig ist. "Dies korreliert mit der Zahl der Gewaltdelikte" (siehe Quelle). In wirtschaftlich schwächeren Regionen seien demnach mehr Fälle und Tatverdächtige registriert worden. Auf Osnabrück als Referenzrahmen bezogen, kann die Johannisstraße sicherlich als schwächere Region bezeichnet werden.

 

Also: was tun? Denken wir mal darüber nach, welche Auswirkungen eine Waffenverbotszone in der Praxis hätte. Die Stadt benennt die Johannisstraße als Brennpunkt. Die Zahl der dort tagtäglich messerschwingend umherlaufenden Menschen ist, sagen wir mal, eher gering. Und wenn jemand doch ein Messer schwingen will, wird diese Person wohl kaum von einem Verbot davon abgehalten werden. Der tätliche Angriff mit einer Waffe ist ja bereits strafbar, eine Waffenverbotszone ändert daran nichts.

 

Was tut also die Waffenverbotszone? In erster Linie sorgt sie dafür, dass Personen in diesem Bereich bei Verdacht auf Waffenbesitz kontrolliert werden dürfen. Wer wäre davon, erfahrungsgemäß, am ehesten betroffen? (Achtung, Suggestivfrage). Diese Waffenverbotszone schafft den Nährboden für Diskriminierung – siehe Quelle der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Aber „racial profiling“ gibt es ja nicht (hier nochmal ein deutlicher Hinweis zum enthaltenen Sarkasmus). Eine Waffenverbotszone würde eher neue Probleme (Diskriminierung) schaffen, als bestehende Probleme zu lösen.

Quellen:

 

  1. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Publikationen/BKA-Herbsttagungen/2023/Gewaltkriminlitaet/Gewaltkriminalitaet.html
  2. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/anstieg-gewaltkriminalitaet-100.html
  3. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/aktuelle-faelle/DE/Ethnie_Rassismus/Ethnie_Racial_Profiling_Bahn.html

 

 


Buchtipp zum Thema:

 

Georgiana Banita - Phantombilder. Die Polizei und der verdächtige Fremde

Nautilus Flugschrift

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  • Maßnahme 3: Die bereits bestehende Alkoholverbotszone in der Johannisstraße sowie am Salzmarkt soll bedarfsgerecht auf weitere Teile der Innenstadt ausgeweitet werden.

 

Alkoholverbot? Also wenn wir schon dabei sind, dann weiten wir das doch bitte auch auf die gesamte Innenstadt aus, insbesondere auf die Maiwoche und den Weihnachtsmarkt! Allseits bekannt dürfte sein, dass Alkohol enthemmt und häufig in Zusammenhang mit Gewalttaten steht. Wir begrüßen also ein flächendeckendes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, fragen uns aber, warum sich das auf die Johannisstraße beschränkt? Für uns als Menschen mit dem Lebensmittelpunkt in der Osnabrücker Innenstadt würden die alkoholbezogenen Probleme durch eine Verbotszone in der Johannisstraße nicht gelöst. Und was denken die dort ansässigen Gastronomen?

 

 

 

Hier ist es ähnlich wie bei einer Waffenverbotszone: Diese Maßnahme wird nicht alle Menschen gleich treffen. Wir würden es begrüßen, wenn sich alle Menschen kritisch mit Alkoholkonsum auseinandersetzen würden. Aber das würde dann auch den Alkoholkonsum in Gaststätten, den Alkoholkonsum auf Maiwoche und Weihnachtmarkt genauso in den Blickpunkt stellen und das passiert bei der von der Stadt erdachten Maßnahme nicht. Die Alkoholverbotszone, wie sie bisher besteht und wie sie nun ausgeweitet werden soll, wird nur die Konsument*innen treffen, die es sich nicht leisten können, ihren Konsum marktkonform durchzuführen. Also vor allen Abhängige, Ärmere, Jugendliche… Diskriminierung löst keine Probleme, sie verstärkt bereits vorhandene und schafft neue Probleme.

 

Der Vollständigkeit halber eine Quelle zu alkoholbezogener Aggression:

 

 

 

 

 


Buchtipps zum Thema:

 

Mickael Labbé - Platznehmen. Gegen eine Architektur der Verachtung

Nautilus Flugschrift

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Niels Boeing - Von wegen. Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft.

Nautilus Flugschrift

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Craig MacAndrew, Robert B. Edgerton - Betrunkenes Betragen. Eine ethnologische Weltreise.

Galiani Berlin

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  • Maßnahme 4: Durch eine Optimierung der Beleuchtungssituation in den Abend- und Nachstunden [sic!] soll das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger vor allem im Bereich Neumarkt/Johannisstraße verbessert werden.

 

Endlich mal eine Präventivmaßnahme! Davon gerne mehr, da ist das Geld auch viel besser aufgehoben als in repressiven, fragwürdigen Maßnahmen!

 

 

Abgesehen davon, dass es „Nachtstunden“ heißt, liebe Stadt Osnabrück, kann man hier nur zustimmen. Das ist tatsächlich eine Maßnahme die auch als Prävention geeignet ist. Diese Problematik ist aber wie lange bekannt, ohne dass sich da etwas bewegt hätte? Da kann man ja schon fast Absicht annehmen, um weitere Maßnahmen wie Kameraüberwachung und diskriminierende Personenkontrollen einzuführen…

 

 



 

  • Maßnahme 5: In der Innenstadt, vor allem in der Großen Straße, zeigt der Ordnungsaußendienst (OAD) bereits seit einiger Zeit verstärkt Präsenz, auch in der Zeit nach Ladenschluss. Die Bestreifung soll ab März weiter ausgeweitet werden. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei, dem Einzelhandelsverband und dem Citymarketing soll außerdem die Osnabrücker Citystreife neu ausgerichtet und ausgebaut werden.

 

 

 

Erstmal: Was bitte hat das Citymarketing mit einem Ordnungsaußendienst zu tun?

 

Zum Ordnungsaußendienst (OAD) schreibt die Stadt selbst:

 

 

 

Neben der Streifentätigkeit nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsaußendienstes unter anderem Aufgaben nach dem Gewerbe- und Gaststättenrecht, der Gefahrtierverordnung oder auch dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wahr. Gelegentlich gibt es Sondereinsätze zum Beispiel für Großveranstaltungen und Evakuierungen vor Bombenräumungen.“

 

Quelle: https://service.osnabrueck.de/dienstleistungen/-/egov-bis-detail/einrichtung/4954/show

 

 

 

 

Was genau soll den der Ordnungsaußendienst dort tun? Falls mit dieser Maßnahme eigentlich Personenkontrollen gemeint sind, hätte man das auch schreiben können, liebe Stadt Osnabrück, denn über eine Häufung von Problemen durch Gefahrtiere liegen uns leider keine verlässlichen Quellen vor. Und dazu dann die Frage: finden solche Personenkontrollen auch auf der Maiwoche statt, oder würde das dem Image der Stadt schaden? Wir beginnen, die Mitwirkung des Citymarketings zu verstehen…

 

 

 

...und gleichzeitig fragen wir uns schon, warum Osnabrück nun bundesweit als Gefahrenzone dargestellt wird. Sollte die Aufgabe eines Stadtmarketings denn nicht sein, möglichst viele Menschen in die Stadt einzuladen statt abzuschrecken?

 

 



 

  • Maßnahme 6: Die aufsuchende soziale Arbeit (Streetwork) soll im Bereich der Innenstadt ausgeweitet und Präventionsangebote für Jugendlichen sollen stadtweit verstärkt werden.

 

Tatsächlich (ganz ohne Sarkasmus) eine gute Idee, wenn auch nicht ganz neu, aber schön, dass das jetzt auch in Osnabrück angekommen ist.

 

Hätte man also schon länger so machen können.

 

 



 

  • Maßnahme 7: Das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden des Einzelhandels in der Innenstadt soll durch Selbstbehauptungsschulungen verstärkt werden.

Als Personen, die im Einzelhandel arbeiten: ist das euer Ernst? Wenn ja, hätten wir gerne jedes Jahr vor der Maiwoche eine ebensolche Schulung, wenn die teils stark angetrunkenen Personen zu uns in den Laden kommen und dort ein Problem für uns und alle „normalen“ Kund:innen sind. Oder ist Enthemmung und Kontrollverlust im Kontext der Maiwoche (oder Ossensamstag, oder Fußball, oder oder oder) erwünscht und nur bei Personen aus einem prekären Umfeld unerwünscht?

 

Was sollen denn diese Schulungen denn eigentlich beinhalten? Und wer soll sie durchführen und die Arbeitsstunden bezahlen?

 

 



 

  • Maßnahme 8: Durch verschiedene Maßnahmen des Osnabrücker ServiceBetriebs soll die Sauberkeit in der Innenstadt sichtbar verbessert werden.

Sauberkeit ist grundsätzlich eine gute Sache, sollte aber auch nicht gänzlich neu sein. Gleichzeitig sehen wir die Notwendigkeit, mal wieder über flächendeckende Verwendung von Mehrwegbehältnissen für To-Go-Essen und -Getränke zu reden. Vielleicht mit Osnabrück-Logo? Looking at you. Stadtmarketing….

 

 



 

  • Maßnahme 9: Das Frauen-Nacht-Taxi (sichere Heimfahrt für eine Pauschale von 7 Euro) soll die Sicherheit von Mädchen und Frauen auf dem Nachhauseweg verbessern.

 

Grundsätzlich keine schlechte Idee, hoffen wir mal, dass die Stadt damit FLINTA*-Taxis meint, also sichere Möglichkeiten für alle, die von unangenehmen männlichem Verhalten eingeschränkt werden, und die Fahrer*innen dann auch entsprechend geschult werden. Nicht, dass der vermeintliche Safer-Space zu einer neuen Art von Gefahr wird. Auch hier wird wieder nicht die Ursache des Problems bekämpft, oder haben wir die Maßnahmen zur kritischen Auseinandersetzung mit übergriffigem Verhalten irgendwo übersehen?

 

 

 

 



 

  • Maßnahme 10: Eine „nachtsam“-Kampagne (Arbeitstitel) soll die Sicherheit in der Abendgastronomie (vor allem Kneipen und Clubs) verbessern.

 

Aha. Siehe Alkohol und übergriffiges Verhalten. Und die betroffenen Lokalitäten bekommen jetzt einen Sicherheitsdienst vor die Tür gestellt auf Kosten der Stadt?

 

 



too long; didn't read:

Die Maßnahmen der Stadt, sei es nun Kameraüberwachung, Personenkontrollen, oder Frauen-Nacht-Taxis, lösen keine Probleme im Bereich der Johannisstraße und des Neumarktes.

Was zeichnet dieses Areal aus? Seit Jahren ist es der wachsende Leerstand, Dauerbaustellen und die Ruinenlandschaft vor allem am Neumarkt. Dazu eine mehr als unübersichtliche und damit gefährliche Verkehrssituation, v.a. für Menschen zu Fuß und mit Fahrrad. Dieses Problem ist nicht neu, wird aber von der Stadt durch keine einzige der genannten Maßnahmen angegangen. Übermäßiger Alkoholkonsum, Gewalt, etc. sind ein Symptom dieser Situation, nicht die Ursache. Es fehlt ein Konzept für den Neumarkt und die Johannisstraße. Der Neumarkt könnte durch seine zentrale Lage ein Fixpunkt der Innenstadt sein, stattdessen verkommt er immer mehr, sofern das überhaupt noch möglich ist. Unter diesen Umständen ist es eigentlich kein Wunder, dass in diesem Gebiet Probleme entstehen.

Ein Punkt, der die gesamte Innenstadt, nicht nur den Neumarkt, betrifft, ist die Aufenthaltsqualität. Diese wird eigentlich nur mit dem Aufstellen von Mülleimern und ein paar zusätzlichen Laternen angegangen. Sitzgelegenheiten, Bäume, Fahrradständer, Verkehrsberuhigung (Fußgängerzone), verbesserter öffentlicher Personennahverkehr, um nur ein paar zu nennen, hätten das Potenzial, den Neumarkt aufzuwerten und zu beleben und so die „Flaniermeile“ Große Straße mit der Johannisstraße zu verbinden. Solche Maßnahmen wären auch geeignet, die Innenstadt an das Gebiet Adolf-Reichwein-Platz/ Redlinger Straße und die Altstadt anzunähern und damit ein großes Aufenthaltsgebiet für viele verschiedene Zielgruppen zu schaffen. Für Menschen, denen Humanismus kein ausreichendes Argument ist: Hinterfragt euch mal selbst und außerdem: Das Innenstadtgebiet könnte damit wieder zu einem zentralen Anlaufpunkt für die Deckung des täglichen (Waren-)Bedarfs werden, die Kaufkraft in der Stadt halten und Abwanderung in andere Städte und das Internet vermindern.

Was passiert stattdessen? Ein 10-Punkte-Plan wird aufgestellt und verkündet, der bundesweit in der Presselandschaft aufgegriffen wird. Damit werden medienwirksam Teile Osnabrücks für unsicher erklärt, sicherlich ganz im Sinne einer Image-Kampagne des hochgelobten Stadtmarketings – ein brillanter Schachzug für die Außenwirkung der Stadt!

 

 

abschließender, ganz allgemeiner Buchtipp zum Thema:

 

Talja Blokland: Gemeinschaft als urbane Praxis

[transcript] -Verlag

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Usamu Okamura - Stadt für alle

Karl Rauch Verlag

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communia & BUNDjugend - Öffentlicher Luxus

Dietz Verlag

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